BarrierefreiheitZu hohe Hürden bei staatlichen Digitalangeboten

Ein aktueller Bericht zeigt, dass die digitalen Angebote der Behörden weiterhin nur unzureichend barrierefrei sind. Mitunter sind die Hindernisse sogar noch größer geworden. Die Ministerien sehen das anders – und legen die Latte dabei äußerst niedrig an.

Menschen stehen um einen Stacheldraht, der einen Laptop umzäunt
Digitale Angebote sind nicht für alle Menschen gleich erreichbar. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Ikon Images

Die digitalen staatlichen Angebote wurden in den vergangenen drei Jahren kaum barrierefreier. Das ist das Ergebnis des aktuellen Berichts der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT-Bund). Alle drei Jahre erstellt die Überwachungsstelle einen Barrierefreiheits-Bericht. Der aktuelle ist im März erschienen und stellt den Websites und mobilen Anwendungen deutscher öffentlicher Stellen ein Armutszeugnis aus.

Unterm Strich ist die Barrierefreiheit bei Webseiten der öffentlichen Hand in den vergangenen drei Jahren nur geringfügig gestiegen, oft blieb sie auf gleichem Niveau. Bei mobilen Anwendungen haben die Barrieren bei der Navigation sogar zugenommen. In der Kulturpass-App des Bundes gibt es beispielsweise keinerlei Übersetzungen in leichte oder Gebärdensprache.

Auf Bundesverwaltungsebene werden zwar im Vergleich zu 2021 mehr Anforderungen erfüllt. Die Zunahme beträgt hier aber nicht einmal ein Prozent. Auf regionaler und lokaler Ebene hat die Barrierefreiheit hingegen im selben Vergleichszeitraum um rund 1,3 beziehungsweise 7 Prozent abgenommen.

Nur die Hälfte der öffentlichen Stellen setzt gesetzliche Vorgaben um

Barrierefreiheit sieht vor, dass etwas für alle Menschen ohne fremde Hilfe zugänglich ist. Seit spätestens 2021 müssen die digitalen Angebote des Staates barrierefrei sein. Das bedeutet konkret, dass es Erläuterungen in Leichter Sprache und Gebärdensprache geben muss. Das steht in der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) und dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), die eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2016 umsetzen sollen.

Die BITV 2.0 schreibt staatlichen Stellen vor, mindestens eine Erklärung zur Barrierefreiheit zu veröffentlichen. Die Erklärung muss die Bereiche benennen, die nicht vollständig barrierefrei gestaltet sind und nachvollziehbare Gründe dafür nennen. Die Erklärung sollte dabei gegebenenfalls auf barrierefrei gestaltete Alternativen hinweisen. Außerdem muss sie eine barrierefreie Kontaktmöglichkeit und einen Hinweis auf ein mögliches Schlichtungsverfahren bei Beschwerden enthalten.

Laut des Berichts der Überwachungsstelle beinhalteten nur rund 48 Prozent der Webauftritte öffentlicher Stellen eine solche Erklärung zur Barrierefreiheit. Die Anforderungen aus der entsprechenden EU-Richtlinie erfüllten gerade einmal rund 13 Prozent.

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Niedrige Standards für Barrierefreiheit

Wir haben einige Bundesministerien gefragt, wie sie die Umsetzung der Barrierefreiheit bei ihren digitalen Angeboten bewerten. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) schrieb uns: „Grundsätzlich wird die Umsetzung der Barrierefreiheit in Bezug auf die Website als gut angesehen.“ Das Bundesverteidigungsministerium antwortete: „Die derzeit aktiven Internetauftritte der Bundeswehr und des BMVg erfüllen großteils die Vorgaben zur Barrierefreiheit gemäß BITV 2.0“. Laut Bundesverkehrsministerium wurde dessen Webauftritt „durchgehend barrierefrei gestaltet“. Und das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung schrieb, seine Webseite erfülle „bereits in weiten Teilen die geltenden Anforderungen an Barrierefreiheit.“

Allerdings sind die Standards, nach denen die Ministerien ihre Angebote bewerten, eher niedrig. Die Internetnormierungsinstitution World Wide Web Consortium hat Kriterien für eine barrierefreie Webseite veröffentlicht: die Web Content Accessibility Guidelines. Darin wird zwischen den drei Konformitätsstufen A (niedrig), AA (mittel) und AAA (hoch) unterschieden. In Deutschland ist AA der gesetzliche Standard.

Allerdings halten die Ministerien oftmals nicht einmal diesen ein. Der Bericht der BFIT-Bund bescheinigt nicht einmal fünf Prozent der digitalen Angebote, die Anforderungen der Konformitätsstufe AA einzuhalten.

Mangelndes Wissen

Laut der Bundesfachstelle Barrierefreiheit, die wie die BFIT-Bund bei der Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See angesiedelt ist, ist oft fehlendes Wissen der Grund dafür. „Häufig fehlt das Know-how zur Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit bei den Dienstleistern“, sagt eine Sprecherin der Stelle auf Anfrage von netzpolitik.org. „Und teilweise fehlt es auch bei den öffentlichen Stellen, einerseits bei denen, die Aufträge vergeben, andererseits auch in den IT-Abteilungen.“

Die Ministerien wollen das Informationsdefizit nach eigenen Angaben ausgleichen, allerdings auf unterschiedliche Weise. So will das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft alle Beschäftigten verpflichtend schulen, die mit der Erstellung von barrierefreien Dokumenten befasst sind, wie es uns auf Anfrage mitteilt. Die Mitarbeitenden anderer Ministerien können hingegen freiwillig an Schulungen der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung teilnehmen.

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1 Ergänzungen

  1. Für Videos im Wen fehlen immer noch Orientierungswerte.

    Die Richtlinien für Teletextuntertitel sind für Webvideos nicht geeignet.

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